Leitartikel zum Mai
Was wir von den frühen Christen der Katakomben lernen können
Liebe Leserinnen und Leser!
Vor einigen Jahren besuchte ich während einer Wallfahrt die Katakomben von Rom. Anfänglich hatte ich eine leichte Scheu davor, hineinzugehen, doch während des Aufenthaltes in den Höhlengängen erkannte ich diese urchristlichen Verstecke als einen der faszinierendsten und authentischsten Orte der ewigen Stadt. Mir wurde klar, dass die kirchlichen Anfänge schlicht und einfach waren. Es war spürbar, dass in den kleinen, aber sehr ernsthaften urchristlichen Gemeinden der Auftrag Christi, das Evangelium in die Welt zu tragen und danach zu leben, als oberste Priorität verstanden wurde.
Die Christen von einst, so schien es mir, waren durch die Worte Jesu im Herzen entflammt und brannten in der Tat für ihn. Im Menschsein geerdet und im Auftrag der frohen Botschaft unerschütterlich, erkannten sie die Realität des Alltags, machten sich nichts vor und erkannten so die Zeichen der Zeit klar und deutlich.
Doch woher kam diese Motivation, diese Begeisterung für den Auftrag Jesu und warum war die Urkirche so angstfrei? Meiner Meinung nach deshalb (das wurde mir ebenfalls in den Katakomben deutlich), weil die Urchristen irgendwie „voll von Leere“ waren. Das soll heißen, sie waren nicht abgelenkt von weltlichen Dingen, von Egoismen, Geltungsbedürfnissen, Machtansprüchen oder zu viel Geld. Die Leute in den Katakomben waren aufeinander angewiesen, lebten die Gemeinschaft und halfen sich gegenseitig dort, wo Unterstützung notwendig war.
Doch es gibt da wohl auch noch einen zweiten, ganz anderen Grund dafür, weshalb die Leute so motiviert für Christus waren. Nämlich durch die Begegnungen mit Jesus selbst oder zumindest mit den Augenzeugen seines Wirkens! Die Erinnerung an ihn war noch frisch. Menschen wurden durch ihn bzw. seine Jünger geheilt, gepflegt und in die neue Gemeinschaft geholt. Man konnte in jedem einzelnen Christen von damals die Handschrift des Zimmermannes aus Nazareth erkennen.
Doch werfen wir nun den Blick auf unser eigenes Christsein und das Verständnis von christlicher Gemeinschaft in der Gegenwart: Sind wir als Christen „voll von Leere“ und sind wir schon jemals Gott oder Christus wirklich begegnet? Haben wir uns schon jemals Gedanken gemacht, ob wir unseren Mitmenschen und uns selbst gerecht werden, bzw. ob wir in der Begegnung mit unseren Mitmenschen bereit sind, für das Wohl aller einzutreten?
Manche bestimmt schon, das ist gewiss, doch viele andere auch nicht. Der Mensch will alles haben, so scheint es, möchte sich selbst verwirklichen und den Vorgaben des „Mainstream“ entsprechen. Er übersieht dabei aber, dass er sich dadurch oft von den Mitmenschen entfernt und selbst isoliert. Anstelle von Begegnung und gegenseitiger Hilfe ziehen sich Menschen immer mehr zurück, möchten keine Verantwortung mehr übernehmen, schauen nur noch auf den eigenen Nutzen und leben in ihrer „Blase“, ihrer Parallel- und Scheinwelt.
Vielleicht wäre es für unsere Gesellschaft, unsere Kirche, unsere Politik und uns selbst an der Zeit, uns wieder unserer wahren Bestimmung und unseres wirklichen Auftrages im Leben bewusst zu werden. Und schauen wir nochmals auf die Urkirche: Wir wären sicher gut beraten, wie unsere früheren Glaubensgeschwister in den Katakomben unser Leben auf Glauben, Authentizität und Solidarität zu gründen.
Diakon Anton Fliegerbauer